Ordnungszwang

Der Ordnungszwang ist dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen immer wieder versuchen, bestimmte Alltagsgegenstände nach einer bestimmten Ordnung oder Symmetrie anzuordnen.

Wenn dieser Drang zum Ordnen immer wieder kehrt und von den Betroffenen nicht mehr kontrolliert werden kann, spricht man von einer so genannten Zwangshandlung. Der Ordnungszwang tritt dabei oftmals gemeinsam mit anderen Zwangshandlungen, wie z.B. Reinigungszwängen oder Zählzwängen auf. Im Gegensatz zur weiter unten beschriebenen Zwanghaften Persönlichkeitsstörung erfahren die Betroffenen beim Ordnungszwang zumeist nur sehr wenig "Freude" beim Ordnen, vielmehr müssen sie einem inneren Druck nachgeben, der von den meisten Betroffenen als lästig oder bedrohlich erlebt wird.

Ordnungszwang: Ursachen

Im Hintergrund des Ordnungszwangs stehen dabei oft ganz bestimmte Befürchtungen oder Erwartungen, die durch den Ordnungszwang - bewusst oder unbewusst - beeinflusst werden sollen, wie zum Beispiel “Ich muss meine Bücher farblich sortieren, sonst könnte einem Familienmitglied etwas zustoßen.”

Den Betroffenen ist dabei oftmals klar, dass ihre Befürchtungen nicht wirklich durch den Ordnungszwang beeinflusst werden können, und trotzdem ist der Zwang so mächtig, dass er sich ihnen immer wieder aufdrängt.

Ordnungszwang: Erfahrungsberichte

Maria (25 J.)* aus Wasserburg:
“Ich habe schon seit ich denken kann immer ganz große Sorgen, dass meinen Eltern etwas passieren kann. Dabei hatte ich noch nie wirklich die Erfahrung, dass ich einen lieben Menschen verloren habe, trotzdem begleitet mich diese Angst seit Jahren. Als Kind habe ich dann zunächst angefangen, dass ich nachts immer nach meinen Eltern schauen musste, ob sie noch da sind und es ihnen gut geht. Später habe ich ihnen dann immer mit einer ganz bestimmten Formulierung "Gute Nacht!" sagen müssen - sonst kam die Sorge, dass ich Schuld wäre, wenn ihnen nachts etwas passiert.

Einige Jahre später haben dann die Ordnungszwänge begonnen. Zunächst ganz harmlos, zum Beispiel meine Kleidung im Kleiderschrank ordentlich zusammenlegen zu müssen. Dabei ging es mir nicht wirklich darum, dass der Kleiderschrank ordentlich aufgeräumt ist - ich hatte die gleiche Sorgen wie bei dem "Gute-Nacht-Ritual": Dass meinen Eltern etwas passiert, wenn ich die Kleidung nicht perfekt zusammenlege.

Dabei war mir vollkommen klar, dass dies eigentlich Quatsch ist, und ich meinen Eltern nicht wirklich helfen kann, wenn ich meine Shirts perfekt falte - und trotzdem hat sich immer so ein diffuses Bedrohungsgefühl aufgedrängt, wenn ich dem Zwang nicht nachgekommen bin.

Mit der Zeit haben sich die die Zwänge dann immer mehr ausgeweitet, irgendwann war es dann nicht mehr nur der Kleiderschrank sondern mein ganzes Zimmer, dass ich nach den Vorgaben des Zwangs aufräumen und ordnen musste. In meiner schlechtesten Zeit habe ich dann sogar angefangen, Fotos von meinem Zimmer zu machen, damit ich den ganzen Tag den "Beweis" dabei hatte, dass ich meine Aufgabe auch richtig erfüllt habe...”

Wie oben beschrieben, können die eigentlichen Sorgen und Befürchtungen der Betroffenen beim Ordnungszwang inhaltlich einen vollkommen anderen Bezug haben, als das Thema, welches der Ordnungszwang scheinbar "vorgibt". Dies ist besonders auch für die Behandlung wichtig, denn der Betroffenen in dem oben zitierten Erfahrungsbericht hilft es natürlich nicht alleine, wenn sie ihren Kleiderschrank in Unordnung bringt, vielmehr muss sie sich auch mit den zugrunde liegenden Ängsten und Befürchtungen auseinandesetzen.

Ordnungszwang oder
Zwanghafte Persönlichkeits­störung?

Häufig ist zunächst unklar, ob es sich bei dem übermäßigen Bedürfnis nach Ordnung und Symmetrie um einen Ordnungszwang oder um eine so genannte Zwanghafte Persönlichkeitsstörung handelt.

Zur Unterscheidung ist es zunächst einmal wichtig zu klären, ob das Ordnen “ich-synton” oder “ich-dyston” erfolgt, und in wieweit sich die Betroffenen von dem Ordnungszwang bzw. zwanghaftem Ordnen distanzieren können.

Ich-Synton oder Ich-Dyston?

Beim Ordnungszwang erleben die Betroffene wie oben beschrieben einen sehr hohen Druck, eine bestimmte Ordnung oder Symmetrie herzustellen. Dieser Druck kann so übermächtig werden, dass sich die Betroffenen ihm nicht mehr wiedersetzen können. Im Hintergrund des Ordnungszwangs steht wie bereits genannt häufig die Befürchtung, dass sich ein schlimmes Unheil androhen könnte wenn man dem Ordnungszwang nicht nachkommt.

Trotz dieses hohen Drucks sind sich die Betroffenen beim Ordnungszwang aber zumeist darüber bewusst, dass mindestens ein Aspekt ihrer Zwangshandlungen überhöht und die erwartete “magische Wirkung” der Zwangshandlungen eigentlich unrealistisch ist. Menschen mit einem Ordnungszwang erleben also den großen Druck des Zwangs, dem sie immer wieder nachgeben müssen würden - aber “eigentlich” würden sie “in ihrem Inneren” viel lieber ohne den Zwang und ohne die damit verbundenen Befürchtungen leben können.

Da der Ordnungszwang also die Betroffenen belastet und sie sich ihm eigentlich gerne wiedersetzten würden, wenn nur der Druck nicht so hoch wäre, spricht man davon, dass der Zwang beziehungsweise die Zwangshandlung “Ich-dyston” ist. Damit ist gemeint, dass die Zwangshandlung sich aufdrängt und entgegen den Vorstellungen des eigenen “Ichs” durchgeführt werden muss.

Anders ist es bei der so genannten Zwanghaften Persönlichkeitsstörung, bei der die Betroffenen zum Teil ebenfalls ein hohes Maß an Ordnung und Genauigkeit anstreben. Im Gegensatz zum Ordnungszwang erleben Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeits­struktur ihren Wunsch nach Ordnung als “Ich-synton”. Das heißt, die Betroffenen erleben ihr Bedürfnis nach Ordnung und das damit verbundene Sortieren als stimmig und zu ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen passend. Die Betroffenen erleben zwar auch einen Druck, wenn bestimmte Objekte aus der Ordnung geraten, aber das Wiederherstellen der Ordnung führt bei ihnen eher zu einem beruhigenden, “gutem” Gefühl, ohne dass damit eine “Entlastung” von Befürchtungen oder Katastrophengedanken wie beim Ordnungszwang verbunden wären.

Weiterlesen:
   • Zwanghafte Persönlichkeits­störung

Ordnungszwang oder Zwanghaftes Sammeln?

Der Unterschied zwischen einem Ordnungszwang und dem so genannten Zwanghaften Sammeln ist ebenfalls manchmal nicht einfach, insbesondere da es häufig Überschneidungen zwischen den beiden Beschwerdebildern gibt.

Als Beispiel können wir uns einen Betroffenen vorstellen, bei dem ein Objekt des Zwanges bestimmte Bücher in seinem Buchregal sind:

Beim Ordnungszwang steht das Ausrichten der zwangsbesetzten Objekte im Vordergrund. Ein Betroffener würde also eventuell zunächst einmal darauf achten, dass die Bücher nach einer ganz bestimmten Systematik angeordnet sind und dann versuchen, eine darüber hinaus gehende Ordnung und Symmetrie zu erreichen. Er würde also eventuell versuchen, die Bücher im Regal so hinzustellen, dass alle im gleichen Abstand von der Regalkante stehen, so dass die Linie der Buchrücken parallel zur Regalkante verläuft. Oder er würde darauf achten, dass alle Bücher wirklich exakt senkrecht im Regal stehen und nicht etwa an den Enden des Bücherstapels gekippt werden.

Der Druck, diese Ordnung herzustellen, ist beim Ordnungszwang so stark, dass die Betroffenen zum Teil große Unruhe und auch starke körperliche Anspannung verspüren, wenn - um bei unserem Beispiel zu bleiben - ein Buch nicht in die gewünschte Symmetrie hineinzubekommen ist. So kann es vorkommen, dass ein Betroffener über Minuten oder Stunden immer wieder zu seinem Buchregal hingehen muss, um die Bücher noch einmal “besser” auszurichten.

Während also beim Ordnungszwang zumeist das Herstellen einer bestimmten Symmetrie im Vordergrund steht, überwiegt beim Zwanghaften Sammeln vorrangig der Druck, Objekte nicht wegwerfen zu können oder ergänzen zu müssen. In unserem oben genannten Beispiel würde ein vom zwanghaften Sammeln Betroffener also eventuell große Probleme haben, alte und “überflüssige” Bücher aus seinem Buchregal zu entfernen. Oder er würde versuchen, seinen Buchbestand nach einem ganz bestimmten Muster zu ergänzen und umzusortieren, bis schließlich über und neben dem Regal alle Plätze besetzt sind.

Wie oben bereits angedeutet, können der Ordnungszwang und das Zwanghafte Sammeln auch nebeneinander auftreten. Die Betroffenen erleben dann entsprechend einen hohen Druck bestimmte Objekte anzusammeln um diese dann in einer bestimmten Ordnung in ihrer Wohnung oder am Arbeitsplatz auszurichten.

Da diese Aufgabe - also das Ansammeln und genaue Ordnen ganz bestimmter Objekte - aber sehr viel Zeit und Energie benötigt, kann es passieren, dass die Betroffenen so sehr mit dieser Aufgabe beschäftigt sind, dass sie keine Kraft mehr haben, den Rest ihrer Wohnung oder ihres Arbeitsplatzes “ordentlich” zu halten. Diese Dynamik kann sich dann immer mehr verstärken, denn die Betroffenen leiden einerseits unter dem hohen Druck des Zwangs, sind andererseits aber hilflos und frustriert, da ihnen auch die Ordnung in den übrigen Lebensbereichen entgleitet, wodurch wiederum der Druck nach dem Ausüben der Zwangshandlungen größer wird.

Weiterlesen:
   • Pathologisches Horten
   • Sammelzwang

Ordnungszwang: Test

Der Test, ob ein Ordnungszwang vorliegt oder ob es sich um eines der anderen oben vorgestellten Krankheitsbilder handelt, sollte nach Möglichkeit durch einen auf dem Gebiet der Zwänge erfahrenen Arzt oder Psychologen durchgeführt werden.

Zur genaueren Diagnostik gibt es dann bestimmte Testverfahren, wie zum Beispiel die so genannte Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS). Diese sollten aber nur durch erfahrene Behandler angewendet und ausgewertet werden, damit sich die Betroffenen auf das Testergebnis auch wirklich verlassen können.

Ordnungszwang: Therapie

Eine Therapie des Ordnungszwangs kann je nach Schweregrad der Erkrankung erforderlich werden. Auch wenn der Ordnungszwang zunächst einmal ganz schön hartnäckig sein kann, lässt er sich mittelfristig zumeist gut durch einen Kombination aus Psychotherapie und falls erforderlich auch unterstützenden Medikamenten behandeln.

Ausführlichen Informationen zur Therapie der Zwänge finden Sie im Kapitel “Zwänge: Therapie”:

Weiterlesen:
   • Zwänge: Therapie

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