Zwangshandlungen

Jeder Mensch kennt Handlungen, die er wiederholt ausführt, obwohl sie eigentlich nicht notwendig wären - wie zum Beispiel das nochmalige Nachrütteln an der Haustür, ob die Tür auch wirklich verschlossen ist, obwohl man diese gerade eben erst abgeschlossen hat. Diese wiederholten Handlungen sollen helfen, einen zusätzlichen Gewinn an Sicherheit zu bekommen. Es kann aber auch vorkommen, dass sich diese Handlungen immer weiter verselbstständigen und zunehmend in Zwangshandlungen übergehen.

Im Gegensatz zu den erstgenannten, eher absichernden Handlungen, haben Zwangshandlungen aber die unangenehme Eigenschaft, dass sie von den Betroffenen zwar (zumeist unbewusst) eingesetzt werden, um eine zusätzliche Absicherung zu erhalten - die Zwangshandlungen aber im Lauf der Zeit eher eine noch größere Verunsicherung bewirken. Wodurch diese Verunsicherung entsteht und wie sich Zwangshandlungen von selbst immer mehr ausweiten können, wollen wir auf den folgenden Seiten genauer betrachten.

Was sind Zwangshandlungen?

Als Zwangshandlungen bezeichnet man bestimmte Handlungen, die von den Betroffenen immer wieder ausgeführt werden müssen, und gegen deren Ausführung die Betroffenen keinen oder nur unzureichend Widerstand leisten können, obwohl ihnen - zumindest zum Teil - die Unnötigkeit oder Unsinnigkeit der Zwangshandlungen bewusst ist.

Es gibt verschiedene Arten von Zwangshandlungen, zu den häufigsten zählen der Waschzwang bzw. Reinigungszwang, Kontrollzwänge, der Ordnungszwang, der Zählzwang und der Berührzwang.

Dabei ist der Übergang von einem “normalen” Wiederholen zu einer Zwangshandlung zu Beginn der Erkrankung oftmals fließend. Die Tendenz zu Zwangshandlungen beginnt bei sehr vielen Betroffene bereits im Kindes- und Jugendalter, mit zunächst eher alltäglichen Wiederholungs­ritualen, wie z.B. dem Sortieren von bestimmten Spielzeugen oder sonstigen Alltagsgegenständen, dem wiederholten Anfassen von Gegenständen beim Spazierengehen, oder dem gehäuften Reinigen der Hände nach unangenehm empfundenen Erlebnissen.

Diese Wiederholungsriutale sind zunächst einmal ein ganz normales Verhalten von Kindern bzw. Jugendlichen, das zum großen Teil unbewusst abläuft und sich oftmals mit dem Älter werden wieder verliert. Einige dieser Rituale können aber durch verschiedene psychische Faktoren eine (wiederum zunächst unbewusste) zusätzliche Bedeutung bekommen, wodurch die Betroffenen im Verlauf einen zunehmenden inneren Druck verspüren, die Handlungen immer wieder ausführen zu müssen.

Parallel entwickelt sich oftmals eine große Sorge davor, was Eintreten könnte, falls die Zwangshandlung unterlassen oder gestoppt würde. Dabei ist den Betroffenen wie oben bereits gesagt zumeist deutlich bewusst, dass ihre Handlungen und die damit verbundenen Sorgen übertrieben sind, totzdem erleben sie eine Art innere Stimme, die ihnen verbietet, die Handlungen einfach zu unterbrechen.

Die Zwangshandlungen können sich im Verlauf immer mehr verstärken, so dass sich eine so genannte Zwangsstörung entwickelt, bei der häufig neben den Zwangshandlungen auch Zwangsgedanken auftreten.

Neben den oben genannte Zwangshandlungen wird auch der Sammelzwang häufig zu den Zwangshandlungen gezählt, wobei letzterer auch als eigenständiges Krankheitsbild, als so genanntes Pathologische Horten, auftreten kann.

Die Zwangshandlungen lassen sich - entsprechend den bei den Betroffenen bestehenden Handlungen und Ängsten - in bestimmte Gruppen unterteilen:

Reinigungs- und Waschzwänge

Den Reinigungs- und Waschzwängen ist gemeinsam, dass die Betroffenen zumeist in der großen Sorge leben, dass sie selbst oder andere Menschen sich aufgrund einer bestimmten “Unreinheit” - wie zum Beispiel einer “unsauberen” Türklinke oder einer “unzureichend gewaschenen” Hand - an einer schwerwiegenden Erkrankungen anstecken könnnten.

Im Gegensatz zur Hypochondrischen Störung, bei der die Betroffenen unter der großen Angst leben, dass sie selbst eine bestimmte Krankheit haben könnten, haben die Betroffenen beim Reinigungszwang bzw. Waschzwang zumeist die Sorge, dass sie durch ihre “Unreinheit” jemand anderen mit einer bestimmten Krankheit infizieren könnten.

Weiterlesen:
   • Waschzwang
   • Reinigungszwang
   • Putzzwang


Ordnungszwang

Der Ordnungszwang ist dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen bestimmte Gegenstände immer wieder in einer bestimmten Ordnung oder nach einem bestimmten Muster ausrichten müssen. Häufig versuchen die Betroffenen dabei, eine bestimmte Symmetrie zu erreichen, also zum Beispiel alle Objekte genau parallel oder rechtwinklig zueinander auszurichten. Im Gegensatz zur so genannten Zwanghaften Persönlichkeits­störung, bei der die Betroffenen ein hohes Maß an Ordnung und Sauberkeit eher befriedigend empfinden, erleben viele Menschen mit einem Ordnungszwang das andauernde Ordnen und Sortieren - und die damit verbundene Anspannnung - eher als bedrohlich und unangenehm.

Weiterlesen:
   • Ordnungszwang


Sammelzwang

Während sich der Ordnungszwang vorrangig mit dem Ausrichten bestimmter Objekte beschäftigt, besteht beim Sammelzwang der große innere Druck, bestimmte Objekte besitzen zu müssen. Dabei geht es den Betroffenen zumeist überhaupt nicht darum, bestimmte Objekte von Wert in ihrem Eigentum zu haben. Der Sammelzwang richtet sich vielmehr sehr häufig darauf, bestimmte - mehr oder weniger nützliche - Alltagsgegenstände in großen Mengen in seinem “Besitz”” zu haben.

Weiterlesen:
   • Sammelzwang


Kontrollzwang

Kontrollzwang

Der Kontrollzwang gehört zu den häufigsten Zwangshandlungen. Gerade beim Kontrollzwang wird auffällig, wie fließend der Übergang zwischen “normalem” Verhalten und einem Zwang ist. Denn welcher Mensch ist nicht schon einmal zurückgegangen, um noch einmal zu kontrollieren, ob die Haustür wirklich verschlossen ist oder ob der Herd wirklich ausgeschaltet ist?

Im Gegensatz zu einem “normalen” Kontrollieren erfahren Menschen mit einem Kontrollzwang durch den Vorgang des Kontrollierens zumeist keine Absicherung und keine Reduktion ihrer Anspannung.

Weiterlesen:
   • Kontrollzwang


Berührzwang

Ähnlich wie der Kontrollzwang gehört auch der Berührzwang zu denjenigen Zwangshandlungen, die von sehr vielen Menschen immer wieder im Allltag eingesetz werden, ohne dass man von einer Zwangsstörung spricht. Ein typisches Beispiel sind das Rednerpult oder der Kugelschreiber, an denen man sich während eines Vortrags “festhält”, um die eigene Anspannung zu reduzieren - und sobald die Hände sich vom Rednerpult lösen kommt die Befürchtung, dass man selbst vor den Zuhörern als vollkommen unfähig darstehen könnte. Sie merken schon, der Übergang zwischen “normalem Verhalten”, einer Sozialen Phobie und einem Berührzwang sind hier fließend.

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   • Berührzwang


Zählzwang

Beim Zählzwang müssen die Betroffenen - ähnlich wie beim Ordnungszwang - bestimmte Zahlenreihen oder (Rechen-)Aufgaben nach einem ganz bestimmten Muster immer wieder in Gedanken durchgehen. Dabei stellt sich beim Zählzwang sehr oft die Frage, ob es sich um eine Zwangshandlung oder um Zwangsgedanken handelt.

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   • Zählzwang


Weitere Zwangshandlungen

Neben den oben genannten Zwangshandlungen gibt es verschiedene andere Verhaltensweisen, die zu den Zwangshandlungen gezählt werden. Sehr häufig sind dabei zum Beispiel andere gedankliche Rituale neben dem Kontrollieren und Zählen.

Eine weitere typische Zwangshandlung ist das ritualisierte Essen, bei dem die Betroffenen während der Mahlzeiten ganz bestimmte Riutale durchführen.

Auch das exzessive Erstellen von Listen über Alltagsdinge wird von manchen Autoren zu den Zwangshandlungen gezählt.

Zwangshandlungen
Tab.1: Häufige Zwangshandlungen

Zwangshandlung oder Verhaltenssucht?

Neben den Zwangshandlungen gibt es auch einige andere Erkrankungen, bei denen die Betroffenen darunter leiden, bestimmte Handlungen immer wieder ausführen zu müssen. Dazu gehören zum Beispiel die so genannnten Verhaltenssüchte, wie z.B. das “Haare-Ausreißen” (die sogenannte Trichotillomanie) oder Erkrankungen wie die Internetabhängigkeit oder die Glücksspielssucht.

Diese Erkrankungen haben alle gemeinsam, dass die Betroffenen immer wieder bestimmte Verhaltensweisen ausüben müssen, von denen sie eigentlich wissen, dass sie langfristig nicht hilfreich sind. Als Oberbegriff für diese und ähnliche Erkrankungen, die Zwängen bzw. Zwangshandlungen sehr ähnlich sind, wurde der Begriff Zwangsspektrumsstörungen gebildet.

Weiterlesen:
   • Zwangsspektrumsstörungen
   • Verhaltenssüchte
   • Internetabhängigkeit

Warum kann man Zwangshandlungen nicht einfach stoppen?

Die meisten Betroffenen sind schon von Angehörigen oder Bekannten mit der Frage konfrontiert worden, warum sie ihre Zwangshandlungen nicht “einfach stoppen”. Nun ja, darauf zunächst einmal eine kurze Antwort: Wenn dies so einfach wäre, wären die Handlungen schon definitionsgemäß keine Zwangshandlungen, sondern bloße Wiederholungsrituale. Und leider bringen die Zwangshandlungen so einige Eigenschaften mit sich, die sie deutlich von “einfachen Wiederholungsritualen” unterscheiden.

Wie oben bereits erwähnt, bekommen die Zwangshandlungen durch verschiedene psychische Prozesse im Verlauf neben dem eigentlichen Ritual eine zusätzliche Bedeutung. Überlegen wir uns dies einmal am Beispiel eines Kontrollzwanges, zum Beispiel dem Kontrollieren des Herdes vor dem Verlassen der Wohnung:

Wie oben bereits mehrfach erwähnt, ist den Betroffenen auch beim Kontrollzwang zumeist bewusst, dass rein von der sachlichen Seite eine einmalige Kontrolle auf jeden Fall ausreichen müsste. Und dass ich den Herd ja eigentlich auch gar nicht kontrollieren müsste, denn ich weiss ja ganz genau, dass ich ihn seit gestern Mittag nicht mehr an hatte... Aber neben dieser sachlichen Stimme gibt es noch eine andere, emotionale Stimme, die mich daran erinnert, was alles passieren könnte, wenn ich vielleicht doch etwas übersehen habe... Wenn ich vielleicht doch nicht ausreichend genug nachgeschaut habe - und meiner eigenen Wahrnehmung traue ich ja nach den vielen Jahren Zwängen sowieso nicht mehr... Und dann erinnert sie mich auch noch daran, was alles passieren könnte - nicht nur mir, sondern meinen Angehörigen im Haus, den Nachbarn... und ich bin daran Schuld, nur weil ich unterlassen habe, nochmal nach zu schauen... diese Schuld kann ich nicht aushalten, im Zweifel schaue ich lieber noch zehn mal nach, bevor so etwas passieren könnte...

Sie merken vielleicht: Dem Betroffenen geht es in diesem Beispiel letztendlich nur wenig um den Herd an sich, sondern vielmehr um die übergroße Soge, durch eigenes Unterlassen anderen Menschen einen Schaden zufügen zu können. Dabei ist gerade bei Zwangshandlungen auffällig, dass es den Betroffenen zumeist gar nicht um die Sorge geht, sie könnten wirklich etwas “böses” machen, also zum Beispiel den Herd absichtlich anstellen, sondern vielmehr darum, durch eigene Unachtsamkeit oder eigenes Unterlassen, eine schlimme Katastrophe herbei zu führen.

Im Gegensatz zu anderen Krankheitsbildern, wie z.B. der Hypochondrischen Störung, geht es den Betroffenen bei den Zwangshandlungen auch sehr oft gar nicht darum, dass sie selber durch das Unterlassen der Handlung einen Schaden erleiden könnten, sondern dass sie andere Menschen durch ihr eigenes “Versagen” schädigen könnten.

Dies ist ein sehr wichtiger Faktor, wenn es darum geht, warum Zwangshandlungen nicht einfach so gestoppt werden können. Denn um in unserem Beispiel zu bleiben: Der Betroffene ist ja sowieso schon in der großen Sorge, “zu wenig zu machen”, und setzt die Zwangshandlung - sprich das “Herd kontrollieren” - eigentlich nur als “Werkzeug” ein, um sich aus seiner Unsicherheit zu befreien. Und wenn wir ihm jetzt auch noch vorgeben, noch weniger kontrollieren zu dürfen, nehmen wir ihm auch noch dieses letzte Werkzeug, wodurch er sich dann erst recht als unzuverlässig und hilflos erlebt - und im schlimmsten Fall noch mehr Zwänge entwickelt.

Auch dabei ist den Betroffenen zumeist sehr klar, dass ihr “Werkzeug” wenn überhaupt nur kurzfristig funktioniert und langfristig mehr Schaden anrichtet als es Gutes tun könnte - und trotzdem gewinnt in der Situation der Zwang mit seinen Katastrophen­szenarien.

Neben diesem Beispiel gibt es noch verschiedenste andere Faktoren, die dazu führen, dass ein Betroffener, die Zwangshandlungen nicht so ohne weiteres stoppen kann. Dies zu Erarbeiten ist eine der wesentlichen Aufgaben für eine Psychotherapie. Und ganz wichtig, wie oben bereits erwähnt: Denken Sie daran, dass die Handlung an sich immer nur eine Art Werkzeug ist, mit dem der Betroffene versucht, sich von seinen bedrohlichen Gefühlen oder Gedanken zu befreien. Und gerade deswegen ist es auch in der Therapie von Zwangshandlungen nicht ausreichend, dem Betroffenen nur vor zu geben, die Zwangshandlung einfach nur weg zu lassen - denn dann bleiben die zu Grunde liegen belastenden Emotionen und Sorgen ja weiter bestehen oder verstärken sich sogar - und melden sich “zwangsläufig” an anderer Stelle wieder.

Aus diesem Grund muss auch eines der wichtigsten Behandlungs­elemente in der Therapie von Zwangshandlungen, das so genannte Expositionstraining, sehr sorgfältig vorbereitet und geplant werden.

Weiterlesen:
   • Expositionstraining bei Zwängen

Zwangshandlungen bei Kindern

Wenn Kinder immer wieder die gleichen Handlungen ausführen müssen, stellt sich für die Eltern oft die Frage, ob dies noch “normale” Rituale oder bereits Zwangshandlungen sind.

Hierbei muss beachtet werden, dass wiederkehrende Rituale für sehr viele Kinder eine große Wichtigkeit haben, denn die Rituale können ihnen ein Gefühl der Sicherheit und der “Normalität” geben.

Der Übergang von einem wiederkehrenden Ritual zu einer Zwangshandlung ist dann zumeist fließend.

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen einem Ritual und einer Zwangshandlung ist die Frage, ob das Kind durch die Handlungen in seinem Alltagsleben eingeschränkt wird. Wenn die Handlungen so oft ausgeübt werden müssen oder so lange andauern, dass ein Kind im Spielen, im Kontakt mit Freunden oder zum Beispiel in seiner Teilnahme am Schulunterricht eingeschränkt wird, dann steht die Vermutung nahe, dass es sich um einen Zwang handelt.

Auch wenn ein Kind gedanklich so stark durch Überlegungen, die sich auf bestimmte Handlungen beziehen, eingeschränkt ist, dass es sich nicht mehr oder nur unzureichend auf andere Dinge konzentrieren kann, dass es sich sozial zurückzieht oder dass es abwesend und verschlossen wirkt, sollten sich die Eltern Unterstützung bei einem Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten holen.

Neben den Zwangshandlungen gibt es auch einige andere Erkrankungen, die bei Kindern zu wiederkehrenden Handlungen führen können, so zum Beispiel die Trichotillomanie (das zwanghafte Haare-Ausreissen) oder das Tourette-Syndrom.

Zwangshandlungen: Diagnose nach ICD-10

In der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) werden die Zwangshandlungen unter dem Diangoseschlüssel

geführt.

Die ausführlichen Diagnosekriterien finden Sie im Artikel Zwangsstörungen: Diagnose nach ICD-10.

Zwangshandlungen: Therapie

Die Therapie der Zwangshandlungen richtet sich unter anderem nach dem Ausprägungsgrad der Zwänge sowie nach den Zwangssymptomen.

Bei leicht bis mittelschwer ausgeprägten Zwangshandlungen ist zumeist eine Psychotherapie, insbesondere die so genannte Kognitive Verhaltenstherapie, das Mittel der ersten Wahl.

Bei sehr schwer ausgeprägten Zwangshandlungen werden ergänzend zur Psychotherapie auch bestimmte Medikamente eingesetzt.

Weiterlesen:
   • Zwänge: Therapie

Beratungssstellen in Rosenheim, Traunstein, Miesbach, Wasserburg, München und Salzburg

Adressen für Beratungsstellen für Menschen mit seelischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten etc., sowie Adressen für Familienberatung, Sozialberatung usw. in den Landkreisen Rosenheim, Traunstein, Miesbach sowie in den benachbarten Regionen finden sie im Kapitel Beratungsstellen:

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